10.09.2021 | Ergebnislos: So kann man die heute gestartete erste Verhandlung in der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie in Niedersachsen zusammenfassen. Die IG Metall hatte sich am heutigen Freitag in Melle zusammengefunden, um gemeinsam mit der Arbeitgeberseite über den Flächentarifvertrag zu verhandeln.
Der Lohn- und Gehaltstarifvertrag, sowie der Tarifvertrag Demografie sind zum 31.08.2021 gekündigt und ausgelaufen. Markus Wente, Verhandlungsführer der IG Metall, erklärt dazu: „Die Arbeitgeber haben ihre Tradition durchbrochen und bereits in der ersten Verhandlung ein Angebot auf unsere Forderung unterbreitet. Dieses ist aus Sicht der IG Metall Tarifkommission jedoch völlig unzureichend und nicht verhandlungsfähig. Die Arbeitgeber berufen sich auf eine Corona-Sondersituation und haben heute das Tal des Jammerns durchquert. Es ist schon richtig, dass die Möbelindustrie in den Zeiten des Lockdowns hart getroffen wurde, denn Schlaf- oder Esszimmer kauft man nicht unbedingt online. Der Rest der Branche jedoch hat sich auch zu Corona-Hochzeiten prächtig entwickelt. Ein dickes Umsatzplus und Mehrarbeit sind in vielen Betrieben an der Tagesordnung. Und die Möbelhäuser verzeichnen seit ihrer Öffnung im Frühjahr wieder steigende Umsätze.“
Bei einer Gesamtlaufzeit von 30 Monaten verlangt die Arbeitgeberseite zunächst bis 28. Februar 2022 Nullmonate und damit einen Reallohnverlust der Beschäftigten. Zum 1. März 2022 soll sich das Entgelt für 12 Monate um 1,2 Prozent erhöhen und dann für ein weiteres Jahr um 1,3 Prozent. Die Tarifforderung der IG Metall nach einer Verlängerung des Tarifvertrages Demografie, zur Gestaltung des demografischen Wandels in den Betrieben, lehnten die Arbeitgeber heute ab.
Die IG Metall fordert dagegen 4,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt in der Holz- und Kunststoffindustrie und eine Aufstockung des tariflichen Demografiefonds um 450 Euro auf zukünftig 750 Euro je Beschäftigten im Jahr - aus dem Fonds wird etwa die Altersteilzeit finanziert. Somit stellt ein Entgelt-Plus von 5,8 Prozent zusammen das Forderungspaket der Gewerkschaft dar. Die Hauptbranchen der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie sind unter anderem die Möbelindustrie, die Holz ver- und bearbeitende Industrie oder der Baubedarf aus Holz und Kunststoff wie zum Beispiel Fenster- und Türenhersteller. Des Weiteren gehören auch Branchen wie die Klavierbauer, Automobilzulieferer oder Produzenten von Lebensmittelverpackungen im Bereich Kunststoff, zur Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie.
„Unsere Forderungen kommen nicht von ungefähr: Ja, die Corona-Pandemie und vor allem der erste Lockdown in 2020 haben genauso wie in vielen anderen Wirtschaftssektoren zu einer Schwächung geführt und beispielsweise Lieferketten unterbrochen. Die Pandemie hat nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Beschäftigten vor Herausforderungen gestellt, die in den vergangenen Monaten gemeinsam gemeistert wurden. Auch die getrübte Stimmung in der Möbelbranche lichtet sich: Zunehmend verschwinden die Wolken am Himmel und die Wirtschaftsprognosen für die nächsten Monate erhellen sich!“, fährt Wente fort. Im Großen und Ganzen sei die Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie solide durch die Krise navigiert: Viele Betriebe würden nicht nur genauso gefüllte Auftragsbücher aufweisen wie vor der Pandemie, sondern mit einem deutlichen Plus aus der Krise gehen. „Die Auftragslage gestaltet sich vielerorts sehr gut. Besonders bei Produzenten von Küchenmöbeln, Spanplatten oder den Fensterbauern boomt es!“, schildert der Gewerkschafter und fügt an: „Wir erleben bei vielen Produkten einen wochenlangen Vorlauf. Teilweise stiegen die Lieferzeiten in den letzten Monaten von 30 auf bis zu 100 Tage je nach Produkt. Die Maschinen und auch die Beschäftigten laufen an ihren Leistungsgrenzen. Da sich die Arbeitgeber auf steigende Material- und Logistikkosten berufen, zeitgleich ihre Margen aber stabil halten wollten, führt das am Ende der Palette zu einem Kostenanstieg für den Konsumenten. In der ganzen Wertschöpfungskette müssen allerdings die Beschäftigten auch deutlich profitieren. Es kann nicht sein, dass Unternehmensprofite in die Höhe schnellen, die Entgelte der Kolleginnen und Kollegen aber stagnieren.“
Viele Betriebe haben Probleme Personal zu finden. Besonders in ländlichen Regionen sind häufig offene Stellen unbesetzt. Kunden können teilweise nicht mehr beliefert werden, weil entweder die Kapazität ausgereizt ist oder Vorprodukte zur Herstellung fehlen. Holz und auch Kunststoff sind weiterhin Mangelware und manch ein Betrieb hat mehr Aufträge, als er Rohstoffe am Markt bekommt. Auch OSB- und Spanplatten sind rar und werden derzeit für massiv erhöhte Preise gehandelt. Die Hersteller kommen kaum mit der Produktion nach. Der private Konsum werde die Nachfrage nach Holz- und Kunststoffprodukten weiter hochhalten und „ein beherrschbares Infektionsgeschehen wird auch die globalen Lieferketten wieder zum Laufen bringen. Wir erwarten daher von den Arbeitgebern ein verhandlungsfähiges Angebot, welches den Prognosen Rechnung trägt und den Beschäftigten, die auch während der Krise erhebliche Arbeit geleistet haben, ein deutliches Plus auf der Lohnabrechnung beschert. Einen Reallohnverlust, wie jetzt von den Arbeitgebern angeboten, werden die Kolleginnen und Kollegen jedenfalls nicht akzeptieren!“, so Wente.
Zusätzlich zur materiellen Seite fordert die IG Metall eine Fortführung des Demografie-Tarifvertrages, mit Regelungen zur Altersteilzeit und zur Bewältigung des anstehenden Generationenwechsels in den Betrieben. „Hier sind deutliche Weiterentwicklungen notwendig, die dem demografischen Wandel, welcher gerade in jenen Branchen besonders stark ist, Rechnung tragen. Denn 40 Prozent der Beschäftigten der Branche sind schon heute 50 Jahre oder älter. Dagegen sind nur 12 Prozent unter 25 Jahre jung. Dahingehend braucht es eine deutliche Aufstockung des zur Finanzierung von Altersteilzeit bestehenden Fonds, um der älteren Generation Perspektiven für einen gesunden und planbaren Übergang in die Altersrente zu geben. Es braucht hier eine Erhöhung des Arbeitgeberbeitrages um 450 Euro, von aktuell 300 Euro auf zukünftig 750 Euro pro Beschäftigten. Diese Absicherung des flexiblen Übergangs von älteren Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand ist in Zukunft notwendiger denn je. Gerade die kommenden 10 Jahre sind aus demografischer Sicht besonders kritisch und herausfordernd, wenn wir uns den Altersdurchschnitt der Belegschaften anschauen. Und hier nehmen wir die Arbeitgeber in ihre Pflicht! Beschäftigte, die sich Jahrzehnte für das Unternehmen aufgeopfert haben, brauchen flexible und intelligente Lösungen für einen gesunden Renteneintritt. Die Totalverweigerung der Arbeitgeber zu diesem Thema ist unter der Faktenlage völlig unverständlich und geht an der Realität in den Betrieben vorbei“, schildert der IG Metall-Sekretär weiter.
Markus Wente sendet nach dem ergebnislosen Ende der ersten Verhandlung noch ein Signal in Richtung Arbeitgeber: „Wir haben dieses Jahr gemeinsam die Chance, nicht nur für einen flexiblen Renteneintritt der Beschäftigten intelligente Lösungen zu finden, sondern mit einer deutlichen Lohnsteigerung die Branche für die junge Generation interessant zu machen. So bewältigen wir gemeinsam den Generationenwechsel in den Betrieben! Dafür erwarten wir in der zweiten Verhandlung am 24. September aber auch ein verhandlungsfähiges Angebot der Gegenseite. Corona hin oder her, die Arbeitgeber müssen sich bewegen.“