19.12.2023 | Knapp zwei Jahre liegt der letzte Tarifabschluss in der niedersächsischen Holz- und Kunststoffindustrie zurück. Unter dem Strich konnten die Beschäftigten damals ein Entgeltplus von 4,9 Prozent erkämpfen. Das jedoch war vor dem Ukraine-Krieg und der rasenden Inflation, die trotz Lohnerhöhungen zu einem deutlichen Reallohn- und Kaufkraftverlust in der Branche geführt hat. Markus Wente, Verhandlungsführer der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt: „Die Kaufkraft der Beschäftigten liegt heute auf dem Niveau von 2016. Allein in den letzten beiden Jahren sind knapp 8 Prozent durch die Inflation verloren gegangen.“ Mit der ersten Tarifverhandlung am 19. Dezember 2023 in Melle, zeichnet sich nun ein deutlicher Konflikt am Horizont ab: der Termin endete wie zu erwarten ergebnislos, brachte allerdings auch keine belastbare Annäherung der Arbeitgeberseite in Richtung der berechtigten Forderungen der IG Metall.
Getrübte Aussichten und Krise am Bau, gestiegene Kosten und eine beginnende Rezession – das sind die Überschriften, auf die sich der Arbeitgeberverband Niedersachsen und Bremen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e.V. stützt. Dabei schätzen trotz der herausfordernden wirtschaftlichen Lage über 70% der Beschäftigten die Situation in ihren Betrieben als gut oder eher gut ein. Mehr als die Hälfte berichtet davon, dass Fachkräfte abwandern und den Betrieb für ein besseres Angebot verlassen. „Jetzt die Sparaxt beim Lohn anzusetzen, ist abenteuerlich. Weder gewinnt man dadurch neue Arbeitskräfte noch hält man abwanderwillige Kolleginnen und Kollegen, die spürbar mehr Geld in anderen Branchen verdienen können. Nur mit attraktiven und wettbewerbsfähigen Entgelten positioniert man sich zukunftssicher auf einem enger werdenden Arbeitsmarkt!“, so Markus Wente weiter.
Die IG Metall kämpft in der laufenden Tarifrunde für 8,5 Prozent mehr Geld bei einer Laufzeit von 12 Monaten sowie für eine mitgliederwirksame Sozialkomponente, wie die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie. Dazu gibt es eine immer größer werdende Schere im Grundentgelt zwischen den Beschäftigten in der Produktion und denen im Büro. Grund dafür: Im Gegensatz zu anderen Industrien gibt es immer noch das veraltete Modell von Gehalt im Büro und Lohn in der Produktion. Mit einer Ausgleichskomponente fordert die IG Metall, diese Lücke schrittweise zu schließen. „Ob eine 3-jährige Ausbildung im Büro, oder in der Produktion: In Zukunft muss der Grundsatz „Gleiche Arbeit, gleiches Geld“ auch in der Holz- und Kunststoffindustrie gelten!“, so Wente weiter.
In der ersten Verhandlung hat die IG Metall der Arbeitgeberseite ihre Forderungen präsentiert und sich im Gegenzug deren Klagelied angehört. Außer diesen Klagen hatten die Arbeitgebervertreter allerdings kein Weihnachtsgeschenk im Gepäck. Sie lassen ihre Beschäftigten ohne ein erstes Angebot in die Weihnachtsferien ziehen. „Am 09. Januar starten wir in die zweite Verhandlungsrunde. Da haben die Arbeitgeber die Möglichkeit, ihren wertschätzenden Worten für die Beschäftigten auch Taten folgen zu lassen und ein ordentliches Angebot vorzulegen. Die Vorbereitungen für Warnstreiks in Niedersachsen laufen jedenfalls und die Beschäftigten sind in diesem Jahr besonders kämpferisch – Baukrise hin oder her!“, so Wente weiter.
Die Einkommens-Tarifverträge in Niedersachsen wurden zum 30. November 2023 gekündigt. Warnstreiks sind ab dem 13. Januar 2024 möglich. In der niedersächsischen Holz- und Kunststoffindustrie sind rund 18.000 Beschäftigte tätig. In Sachsen-Anhalt starten die Verhandlungen ebenfalls im Januar 2024. Dort ist auch der Manteltarifvertrag gekündigt. Die Beschäftigten fordern eine Arbeitszeitreduzierung auf 35 Stunden pro Woche – bei vollem Entgeltausgleich. Hier droht eine langanhaltende Auseinandersetzung.