Hannover Messe 2021

Tesla als Game-Changer der deutschen Industrie? Diskussion der IG Metall zur Transformation

19.04.2021 | Die Hannover Messe trotzte in der Zeit vom 12. bis 16. April 2021 der Corona-Pandemie und fand erstmalig ausschließlich in digitaler Form statt. Unter dem Leitthema „Industrial Transformation“ fanden zahlreiche spannende Diskussionsveranstaltungen und Vortragsformate per Videokonferenz und Stream statt. Im Fokus standen dabei die Vordenker der Industrie, ihre Technologien, Energiesysteme sowie die Lieferketten derw Zukunft.

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Im Rahmen der Messe hat sich auch die IG Metall mit Veranstaltungen am Konferenzprogramm beteiligt. So hat beispielsweise eine Diskussionsrunde zum Thema »Rüttelt Tesla an den Grundfesten des deutschen Industriemodells?« stattgefunden. Bei der Veranstaltung handelte es sich um die Abschlussdiskussion zum Forschungsprojekt „Umbruch Automobilindustrie“ (siehe auch Kurzvorstellung des Forschungsprojektes “Wandel der Automobilindustrie”). Das Projekt wurde von Vertretern des Gesamtbetriebsrates Volkswagen, IAV Gesamtbetriebsrat und Geschäftsführung, IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, IG Metall Wolfsburg und dem ISF München als agiles Projekt zur Analyse des aktuellen Umbruchs der Automobilindustrie in Deutschland konzipiert. IAV, sowie der Bezirk Niedersachsen und Sachsen-Anhalt und die IG Metall-Geschäftsstelle Wolfsburg finanzierten die erste Phase. Diese startete zum 1. Juli 2020 und endete mit der Diskussion auf der Hannover Messe am 13. April 2021.

Prof. Dr. Andreas Boes (ISF München) leitete mit einem Impulsvortrag die digitale Podiumsdiskussion ein. Die Ansiedlung Teslas in Brandenburg könne „zum Game-Changer für die industrielle Produktionsweise in Deutschland werden“ – so lautet eine der Thesen des Soziologen. Tesla sei Vorbote einer neuen Produktionsweise, die Prinzipien und Kompetenzen der Informationsökonomie auf die Industrie übertrage und so einen Paradigmenwechsel realisiere. Nach Boes Auffassung finde der Brückenschlag der Informationsökonomie in die industriellen Kerne in der Automobilindustrie statt – dieses sei als strategisches Lernfeld zu betrachten und sei wegweisend für die zukünftige Ausrichtung der deutschen Industrie. Boes, der als Pionier der deutschen Digitalisierungsforschung gilt, untermauert, dass die „strategische Herausforderung für die deutsche Automobilindustrie darin besteht, die Stärken im Automobilbau mit den Kompetenzen in der Informationsökonomie zu verheiraten. Nur so eröffnen sich neue strategische Optionen, um Zukunftsstrategien in Richtung nachhaltige Mobilität und moderne Fertigungskapazitäten zu entwickeln.“ Nicht zuletzt seien es jedoch Gewerkschaften und betriebliche Interessensvertretungen, die diese tiefgreifende Transformation der industriellen Produktionsweise mitgestalten würden. Im Folgenden schloss sich unter Moderation von Dr. Kira Marrs (ISF München) eine Diskussion mit Bernd Osterloh (Gesamtbetriebsratsvorsitzender Volkswagen), Dr. Uwe Horn (Arbeitsdirektor und Geschäftsführer IAV), Mark Bäcker (Gesamtbetriebsratsvorsitzender IAV) und Thorsten Gröger (IG Metall Bezirksleiter Niedersachsen und Sachsen-Anhalt) an.  

Für die IG Metall unterstrich Thorsten Gröger, dass die Ansiedlung der „Tesla Gigafactory Berlin“ bei Brandenburg grundsätzlich Arbeitsplätze schaffe und die Attraktivität des deutschen Wirtschaftsstandortes unterstreiche. „Berichte über ein rücksichtsloses Vorgehen bei Auflagen und der Missachtung von Umweltschutzvorschriften durch den US-Konzern müssen natürlich strengstens unter die Lupe genommen und keineswegs auf die leichte Schulter genommen werden!“, so Gröger. Ob Tesla als Game-Changer für die deutsche Automobilbranche wirke, ließ der Bezirksleiter der IG Metall offen. „Sicherlich haben die anderen Stakeholder*innen Tesla fest im Blick. Gleichzeitig sehen wir, dass bei den deutschen Platzhirschen – ob VW, Daimler oder BMW – auch erhebliche Umbruchprozesse im Kontext der Digitalisierung, Transformation und Industrie 4.0 stattfinden. „Die Innovationskraft eines Unternehmens entscheidet sich an der Qualität der Arbeitsbedingungen. Welche Freiräume bestehen. Und welche Sicherheiten gegeben werden. Wir stehen mit der Mitmachgewerkschaft IG Metall für Mitmachunternehmen in denen Demokratie gelebt und nachhaltige Innovation entwickelt und produziert wird!“, schildert der Gewerkschafter auf der digitalen Hannover Messe. Die IG Metall beobachte den Bau der Werkshallen und schaue was nach Produktionsstart passiere. „Wie die IG Metall bei Tesla aussieht, ist maßgeblich in der Hand der Beschäftigten. Gute Arbeitsbedingungen fallen nicht vom Himmel – jede organisierte Belegschaft unterstützen wir dabei, denn Tarifverträge sind kein Geschenk von Arbeitgeberseite. Ob Tesla, Volkswagen oder Automobilzulieferer: Gewerkschaftlich organisierte Belegschaften haben eine starke Stimme und können sich für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen stark machen! Letztlich sind es jedoch Tarifverträge, die Entgelte sichern, Erholungszeiten garantieren, die Gesundheit schützen und vor Willkür wahren.“, fährt der IG Metall Bezirksleiter fort. Für die Gewerkschaft sei, so Gröger, nicht die Technologiedebatte entscheidend, sondern der Stellenwert der Beschäftigten: „Für uns ist nicht entscheidend, welche nachhaltige Antriebstechnologie sich durchsetzt, sondern welche Rolle die Kolleginnen und Kollegen in den Werken spielen. Ein ökologisches Handeln geht zwingend mit einem sozialen Handeln einher. Es steht für uns fest, dass der Wandel in der Mobilität ein wichtiger Baustein auch zum Erreichen von Klimazielen ist. Dieser Wandel darf aber nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden – ganz gleich, ob diese Verbrenner, Akku oder Brennstoffzellen entwickeln oder produzieren!“.

Volkwagens Gesamtbetriebsratsvorsitzender, Bernd Osterloh, äußerte sich beim Messe-Talk wie folgt: „Tesla ist nicht der erste neue Wettbewerber, mit dem sich die deutsche Automobilindustrie auseinandersetzt. Wettbewerb belebt das Geschäft. In Wolfsburg werden wir mit dem Projekt Trinity beweisen, wie man Elektroautos hochproduktiv ins Volumen bringt. Zufall ist es nicht, dass Trinity zu uns kommt. Und ich bin überzeugt, dass Trinity hier im Stammwerk, neben der Technischen Entwicklung und Konzernzentrale, den besten Platz hat. Denn hier haben wir die Stärke einer Belegschaft, ihr Know-how, ihre Kreativität, ihre Erfahrung beim Steuern einer Fabrik, ihre Routine im Fehlerausbügeln und vor allem ihren außergewöhnlichen Einsatzwillen als Teil der stark mitbestimmten Volkswagen-Familie – all das wächst weder automatisch auf der grünen Wiese, noch steigt es parallel mit dem Aktienkurs.“

Dr. Uwe Horn, IAV-Arbeitsdirektor und Geschäftsführer, kommentierte: „Eine entscheidende Frage lautet: Gelingt in Europa der Perspektivwechsel? Betrachten wir nur das Fahrzeug, oder gelingt es uns, das Auto als das zu betrachten, was es schon heute ist: Bestandteil einer modernen, vernetzten und intelligenten Mobilität. Die richtige Software ist der Schlüssel dazu. Sie ermöglicht effiziente und zukunftssichere Lösungen und damit neue Services für den Endkunden sowie neue Geschäftsmodelle für die OEM. Der Wettbewerb um die besten Köpfe und der ‘war of talents‘ läuft in allen Branchen und in Berlin ebenso wie in anderen Technologiezentren weltweit. Tesla steigt damit in das Rennen um Software-Entwickler, AI-, Cloud- und big data-Spezialisten mit ein. Als seit mehr als 35 Jahren ansässiges Unternehmen in Berlin, sehen wir uns gut aufgestellt, arbeiten aber natürlich nichtsdestotrotz unentwegt an unserer Attraktivität für unsere neuen Mitarbeitenden. Deswegen pflegen wir ein großes Netzwerk zu verschiedenen deutschen Universitäten und sind Mitglied im Softwarecampus des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Damit helfen wir aktiv mit, die nächste Führungsgeneration in der Softwareentwicklung auszubilden.“

Mark Bäcker, IAV-Gesamtbetriebsratsvorsitzender, sagte: „Die Veränderungsgeschwindigkeit durch den Wechsel von Verbrennungs- auf E-Antriebe war und ist enorm gestiegen. Auch Firmen wie Tesla, die mit neuen Vorgehensweisen und Ansätzen in der Entwicklung die Geschwindigkeit vorantreiben und den Druck zusätzlich erhöhen, tragen dazu entscheidend bei. Diese Situation bringt eine Disruption in Themen, die es in dieser Geschwindigkeit so noch nie gab und nicht vorhersehbar war. Das bedeutet für unsere Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich in einem Transformationssprint befinden. Wenn ich gerade noch der Beste in meinem Metier war, bin ich im nächsten Moment für das Unternehmen scheinbar nicht mehr lukrativ und salopp gesagt überflüssig. Somit haben wir nicht nur eine große Herausforderung bei der Qualifizierung der Kolleginnen und Kollegen in neue Aufgabengebiete und Themen, sondern wir müssen sie jeden Tag erneut motivieren, sich auf neue, manchmal unbekannte Themen einzulassen. Diese mentale Herausforderung verlangt gerade allen Beteiligten viel ab. Wir alle müssen weiter dafür sorgen, dass jede Kollegin und jeder Kollege eine ehrliche und realistische Chance für die Zukunft bekommt, dürfen dabei aber auch nicht die Kosten für das Unternehmen aus den Augen verlieren. Jetzt müssen wir mit voller Kraft nach vorne schauen - zurückblicken, egal wie erfolgreich wir waren, bringt uns jetzt nicht mehr weiter. Wir müssen uns mit viel Mut neu aufstellen, soviel ist sicher!“

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