Geschäftsbericht

Geschäftsbericht 2016 bis 2019

01.12.2020 | Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein paar turbulente Jahre liegen hinter uns. Als ich am 1. Januar 2017 die Leitung des Bezirks übernommen habe, waren wir bereits mitten in einem wichtigen Diskussionsprozess über das Thema Arbeitszeitgestaltung. Die Beschäftigtenbefragung 2013 hatte uns den klaren Handlungsauftrag gegeben, dass die künftige Tarifpolitik Regelungen unter anderem zur Arbeitsumverteilung, zu einer lebensphasenorientierten Arbeitszeit und zu mehr Zeitsouveränität anstreben soll.

Thorsten Gröger, Bezirksleiter IG Metall Bezirk Niedersachsen und Sachsen-Anhalt (Foto: Heiko Stumpe)

Der Startschuss für die Tarifrunde 2016 und für die Arbeitszeitkampagne „Meine Zeit – mein Leben“ in unserem Bezirk war auf der „Tarifpolitischen Konferenz“ am 13. Januar 2016 in Hannover gefallen. Es folgten wichtige Debatten in den betrieblichen und gewerkschaftlichen Gremien.

Im Frühjahr 2017 haben wir noch konkreter gefragt: wie soll eine moderne Arbeitszeitpolitik aussehen, die den Anforderungen unserer Zeit gerecht wird und die Wünsche der Menschen nach Vereinbarkeit und Gesundheit berücksichtigt? Um welche Themen müssen wir uns darüber hinaus kümmern?

Mehr als 680 000 Beschäftigte haben geantwortet: Absicherung und solidarische Finanzierung der Rente, Investitionen in Bildung und Digitalisierung zur Bewältigung der Transformation und mehr Arbeitszeitsouveränität waren die relevanten Themen.

Nach intensiven Diskussionen auf unseren Tagungen, Konferenzen und in den Betrieben haben wir uns entschieden, in der Tarifrunde 2018 unseren Fokus auf mehr Geld und Zeitsouveränität für die Beschäftigten zu legen. Und man kann mit Recht sagen, zu den Höhepunkten in der Tarifpolitik des Berichtszeitraums zählte die Wahloption zwischen dem tariflichem Zusatzgeld oder zusätzlichen acht freien Tagen (T-ZUG). Auch die spürbaren Aufstockungen der betrieblichen Altersvorsorge bei Volkswagen von 27 auf 90 Euro ab Juli 2019 und auf 98 Euro ab 1. Januar 2020 waren ein beispielgebender Meilenstein. Sie werden zukünftig tarifdynamisch sein. Und nicht zuletzt die Tarifverträge zum Ausgleich von Rentenabschlägen im Handwerk: Damit wird den Beschäftigten ein vorzeitiger Ausstieg ermöglicht. Die Tarifpakete werden im Detail im Kapitel 5, Tarifpolitik, vorgestellt.

Die Arbeitgeber in der Metall- und Elektroindustrie haben damals mit allen Mitteln versucht, den Tarifabschluss vom 6. Februar 2018 zu boykottieren. Die fadenscheinigen Argumente, mit denen sie die Hoheit über Arbeitszeitfragen bei sich behalten wollten, führten in den Betrieben nur zu noch mehr Mobilisierung. Nach zwei erfolgreichen Warnstreikwellen mit fast 100 000 Beschäftigten allein in unserem Bezirk fanden in 15 unserer Betriebe ganztägige Warnstreiks (Powerstreiks) statt. Diese bundesweiten Powerstreiks waren schließlich die Grundlage für den Pilotabschluss in Baden-Württemberg und ermöglichten den erfolgreiche Übernahme. Die Tarifabschlüsse fanden sowohl in unserer Mitgliedschaft als auch in der Öffentlichkeit viel Anerkennung. Auch bei Volkswagen gab es erstmals nach 14 Jahren Warnstreiks, der Elan dieser Bewegung zog sich weiter auch durch andere Branchen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Tarifrunde, mit dem innovativen Warnstreikkonzept und dem tollen Ergebnis haben wir gemeinsam Geschichte geschrieben. Dafür danke ich euch noch einmal herzlich!

Zur Wahrheit gehört aber auch: Nicht alle unsere Vorhaben waren erfolgreich. Die Debatte um die Angleichung der Arbeitszeit Ost-West ist nach vielen Gesprächen an der mangelnden Bereitschaft der Arbeitgeber zu tragfähigen Lösungen zu kommen im Dezember 2019 zunächst abgebrochen worden. Das Thema bleibt auf der Tagesordnung und wird in den anstehenden Tarifrunden neu aufgegriffen. Und ich bleibe dabei: es handelt sich hierbei um nicht weniger als eine zentrale Frage von Gerechtigkeit.

Aber mit der Arbeitszeitdebatte haben wir den Nerv der Zeit getroffen und deutlich gemacht: Wir wollen eine faire, demokratische und nachhaltige Gestaltung der Arbeit und der Gesellschaft. Der Klimawandel, die Reduzierung der
CO2-Emmissionen, die Digitalisierung und die „Künstliche Intelligenz“ erfordern innovative Lösungen, um die Beschäftigung
zu sichern. Wir haben Ideen für gute Arbeit in der Zukunft. Mit dem Transformationsatlas stellen wir den Betrieben konkrete Handlungshilfen zur Verfügung. Am 29. Juni 2019 waren über 50 000 Metallerinnen und Metaller in Berlin. Aus unserem Bezirk sind wir mit der Bahn und 150 Bussen angereist. Unter dem Motto #Fairwandel haben wir laut und deutlich kundgetan: Wir wollen die Transformation im Sinne der Menschen gestalten.

Der Aufbruch ins digitale Zeitalter verunsichert die Menschen. Rechtsextremisten und Rechtspopulisten schüren Ängste und fangen die Menschen mit vermeintlich einfachen Lösungen ein. Sie versprechen, die Welt wieder „in Ordnung“ zu bringen. Das ist ein gefährliches Spiel. Mit der Wahl der AfD am 24. September 2017 zog erstmals seit den 60er Jahren wieder eine rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme und fremdenfeindliche Partei in den deutschen Bundestag ein. Das ist ein einschneidendes Ereignis für unsere Demokratie. Die IG Metall ist historisch verankert als eine treibende Kraft gegen jegliche Art von Rechtsextremismus. Metallerinnen und Metaller sind aktiv in vielerlei Bündnissen gegen die neue Rechte, mit eigenen Projekten und Aktionen. Wir zeigen Gesicht mit guten Konzepten und Argumenten, gegen die Spaltung der Gesellschaft und der Demokratie. Ein deutliches Zeichen für die Vielfalt, Solidarität und Menschlichkeit in den Betrieben und der Gesellschaft haben wir im Herbst 2018 als Bezirk in einer gemeinsamen Erklärung zusammen mit dem Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall gesetzt. Im März 2019 haben wir ergänzend dazu im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus auch mit tollen Aktionen in zahlreichen Betrieben dazu Farbe bekannt.Dabei wurden sowohl menschenverachtende Hetze als auch die aggressiven Aufmärsche in Chemnitz, Köthen und anderswo aufs Schärfste verurteilt.

Die Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt und der Gesellschaft gehen nicht an der IG Metall vorbei. Auch die Mitgliederstruktur ist im Wandel. Seit den 90er Jahren sprechen wir verstärkt Angestellte und Studierende an. Mit unserem
betrieblichen Erschließungsprojekt konnten wir bereits am Ende der ersten Projektphase 2018 rund 4000 neue Mitglieder gewinnen. 2019 hat der Gewerkschaftstag das Projekt „Die IG Metall vom Betrieb aus denken“ gestartet, um in beteiligungsorientierten Prozessen die IG Metall neu aufzustellen. Wir wollen die künftigen Herausforderungen angehen, denn wir haben oft genug bewiesen: Wir können Wandel und Krisenbewältigung.

Anfang dieses Jahres haben wir uns ganz neuen Herausforderungen stellen müssen: Die Corona-Pandemie hat unsere Welt aus den Fugen gerissen. Während wir uns mit den absehbaren Folgen der Transformation beschäftigt und uns darauf vorbereitet haben, mit Politik und Arbeitgeberseite um die richtigen Lösungen zu ringen, brach das Virus wie eine Naturkatastrophe über die Welt herein. Mit einem Krisenabschluss am 19. März 2020 mussten wir die Tarifrunde 2020 unterbrechen, um für Notfälle konkrete Unterstützung anzubieten, die Arbeitsplätze zu sichern und das Kurzarbeitergeld zu verbessern. Es folgten Solidartarifverträge auch in anderen Branchen. Wir drängten die Politik, die Kurzarbeit auszuweiten und die Bezüge aufzustocken. Damit haben wir gesellschaftspolitische Akzente gesetzt.

Vor allem aber haben wir auch und gerade in dieser Extremsituation gesehen, wie wichtig die Grundwerte sind, auf denen Gewerkschaften gebaut sind: Zusammenhalt. Rücksichtnahme auf Schwächere. Solidarität. Selten waren diese Werte so spürbar wie jetzt.

Wir lassen uns trotz Abstand nicht entzweien und finden kreative Lösungen, so wie wir es immer getan haben. Wir werden uns nicht widerstandslos den Kürzungsphantasien mancher Arbeitgeber*innen ergeben, sondern selbstbewusst eine sichere und faire Zukunft gestalten.

Wenn wir zusammenhalten, ist alles möglich.

Thorsten Gröger

 

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