Transformationsdialog

Carsten Hübner im Interview: Die USA nach der Wahl - soziale, wirtschaftliche und politische Implikationen

17.12.2020 | Mit Blick auf die gegenwärtige Transformationsdebatte in unseren Kernindustrien liefern die USA mehr als nur Denkanstöße. Werden sich die sozialen, beschäftigungs- und gewerkschaftspolitischen Bedingungen unter Joe Biden wesentlich verändern? Was bedeutet Transformation in der US-amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft? Am Beispiel von »Tesla« als Aushängeschild eines radikalen Wandels in der Automobilindustrie wird deutlich, wie sehr die deutsche Wirtschaft und hier insbesondere die deutschen Autobauer und Zulieferer von diesen Entwicklungen betroffen sind.

Carsten Hübner (Foto: IG Metall)

Wir haben diese und weitere Fragen und Themen gemeinsam mit unserem Referenten diskutiert. Carsten Hübner (51) lebt und arbeitet als freier Journalist in Berlin und beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit Gewerkschaften und internationaler Politik. Zuletzt war er für viereinhalb Jahre in der transnationalen gewerkschaftlichen Bildungsarbeit als geschäftsführender Direktor des Transatlantic Labor Institute (TLI) tätig.

1. Welches Verhältnis haben die US-amerikanischen Gewerkschaften zu Donald Trump? Welches Verhältnis hatten sie zu seinen Heilsversprechen vor vier Jahren bezüglich der beabsichtigten stärkeren Protektion der amerikanischen Industrie und Arbeitsplätze? Die Demokraten haben scheinbar irgendetwas fundamental falsch gemacht und angepackt.

Das Gros der US-amerikanischen Gewerkschaften hat Trump schon 2016 explizit abgelehnt und vor seiner Wahl gewarnt. Das war die offizielle Linie. Traditionell gehören die Gewerkschaften zu den Großspendern der Demokraten. Aber längst nicht alle Kolleginnen und Kollegen sind dieser Linie gefolgt. Das haben wir vor allem in Michigan, Pennsylvania und Wisconsin gesehen, wo Trump jeweils knapp vor Clinton gelegen und damit die Wahl gewonnen hat. Bei klassischen Arbeitnehmer- und Gewerkschaftshaushalten hatte er dort 2016 zwar keine Mehrheit, aber einen vielleicht wahlentscheidenden Zuwachs.

Diesmal sind diese Bundestaaten wieder an die Demokraten, also an Joe Biden gegangen. Aber auch nur vergleichsweise knapp. Das lässt, wie von Dir angedeutet, auf einen Bruch zwischen der Demokratischen Partei auf der einen und Arbeitnehmern und Gewerkschaftern auf der anderen Seite schließen, der offensichtlich nicht so ohne weiteres zu kitten ist. Das hat sicher mit der Anti-Establishment-Attitüde von Trump zu tun, mit vermeintlich einfachen Lösungen wie Strafzöllen und Binnenmarktprotektionismus, mit der Person von Hillary Clinton und der Frustration, dass sich die ökonomische Situation der allermeisten Arbeitnehmerhaushalte auch unter der demokratischen Präsidentschaft von Barack Obama nicht verbessert hat.

Aber im Kern haben wir es, vom Lokalkolorit abgesehen, mit denselben Problemen zu tun, die wir auch aus Europa und Deutschland kennen: Die Sozialdemokratie bezieht seit mehr als zwei Jahrzehnten in wichtigen sozio-ökonomischen Politikfeldern neoliberale Positionen und wird von vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht mehr als originäre Vertretung ihrer Interessen wahrgenommen. Und da ist ja durchaus etwas dran.

2. Die IG Metall bringt sich extrem proaktiv als Gestalterin in die Debatte um Transformation der Automobilindustrie ein. Schauen auch die US-Gewerkschaften nach vorne – mit Blick auf CO2-Regulierung, neue Antriebstechnologien, neue Mobilitätskonzepte etc.? Oder geht es nur darum, am alten Modell festzuhalten? Gibt es eine progressive Transformationsdebatte in der amerikanischen Gewerkschaft?

Die US-Gewerkschaften, nicht zuletzt die UAW, haben begriffen, dass es zu einer Transformation im produzierenden Gewerbe und in der Automobilindustrie kommen wird, egal ob ihnen das gefällt oder nicht. Und bei gewerkschaftlich organisierten Unternehmen wie General Motors, Ford oder Fiat-Chrysler sitzen sie mit am Tisch, wenngleich die Mitbestimmung sicher nicht so ausgeprägt ist, wie wir das aus Deutschland kennen oder zumindest lange kannten.

Aber das Gros der Industrie, allen voran die deutschen, japanischen und koreanischen Unternehmen, wollen die Gewerkschaften komplett raushalten: aus den Betrieben und erst recht aus der industriepolitischen Debatte, wo es ja darum geht, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Man kann dementsprechend sagen, dass die Gewerkschaften immer wieder ihre Bereitschaft bekunden, an der Transformation mitzuwirken. Und immer wieder werden sie von der Mehrzahl der Unternehmen und ihrer Lobby in Politik und Wirtschaft als Akteur und Gesprächspartner nicht anerkannt, sondern schlichtweg ignoriert oder sogar aus den entsprechenden Runden rausgedrängt.

Aber unabhängig davon: Reform und Transformation hat in den Ohren vieler US-amerikanischer Arbeitnehmer keinen guten Klang. In der Vergangenheit bedeutete dies vor allem Outsourcing, Produktionsverlagerung ins Ausland, Verdichtung der Arbeit, Flexibilisierung und nicht zuletzt den Wegfall von Arbeitsplätzen und Standorten. Die Folgen kann man in Detroit oder Flint oder an Orten sehen, die früher von der Stahlindustrie oder dem Bergbau geprägt waren. In einem Land wie den USA, wo es keine richtige Industriepolitik und kaum soziale Sicherheit gibt, liegen die Risiken der Transformation letztlich allein bei den Beschäftigten. Und deren Stimme wird, wie gesagt, gerne überhört. Eine progressive Transformationsdebatte ist unter diesen Bedingungen nur schwer vorstellbar.

3. Tesla stellt 2021 ein großes Automobilwerk in Grünheide (Brandenburg) fertig, in dem zunächst 12.000 Menschen arbeiten sollen, perspektivisch noch viel mehr. Hat Tesla ein Interesse an stabilen Arbeitsbeziehungen, selbstbewussten Gewerkschaften und Beschäftigten, die über Mitbestimmung und Tarifpolitik Arbeit und Beschäftigung bestmöglich regulieren? Wenn dem (noch) nicht so sein sollte: Wie können wir Elon Musk und seine Manager*innen von der Notwendigkeit guter Arbeit überzeugen? Wird das ähnlich kompliziert wie im Fall Amazon? Ist vielleicht ein bisschen Kaffeesatzleserei…

Man muss nicht Kaffeesatzleserei betreiben, eher das Gesetz der Wahrscheinlichkeit bemühen. Tesla ist in den USA ein ausgewiesen gewerkschaftsfeindliches Unternehmen mit Arbeitsbedingungen, die vielfach öffentlich kritisiert wurden, etwa was die Arbeitssicherheit oder die ständige Mehrarbeit anbetrifft. Mit der UAW wurde jede Kooperation abgelehnt. Die IG Metall hat nach der Übernahme des Anlagenbauers Grohmann durch Tesla im Jahr 2017 einen ersten Vorgeschmack darauf bekommen. Bis heute gibt es keinen Tarifvertrag. Die Überstunden häufen sich. Dazu kommt, dass Tesla als Rechtsform für das Werk in Grünheide in Brandenburg eine Vorrats-SE nutzt. Das wird in aller Regel gemacht, um die Unternehmensmitbestimmung soweit wie möglich einzuschränken. Und auf ein Schreiben der IG Metall an das Management aus dem Frühjahr dieses Jahres gibt es bis dato keine Antwort. Wenn man dies alles in Rechnung stellt, kann es natürlich immer noch sein, dass Tesla den Wert von Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft entdeckt. Aber wie wahrscheinlich ist das?

Ich halte es für wahrscheinlicher, dass Tesla so lange wie möglich versuchen wird, jede Form der Mitbestimmung und eine Tarifbindung zu umgehen. Das wird sicher für einige Zeit auch funktionieren, weil es objektiv nicht einfach sein wird, ein neues Werk in dieser Größenordnung mit einer völlig neuen, wahrscheinlich sehr diversen Belegschaft gewerkschaftlich zu erschließen. Das kommt ja auch nicht alle Tage vor.

Mittelfristig, so war es auch im Werk in Fremont in Kalifornien, werden sich die Kolleginnen und Kollegen aber gegen Arbeitshetze und Dauerstress auflehnen, die daraus resultieren, dass Tesla an der Börse massiv überbewertet ist, mit seinen Autos bis dato kein Geld verdient und Giganten wie Volkswagen aus dem Dornröschenschlaf erwacht sind und massiv in den Markt drängen. Zu diesem Zeitpunkt muss die IG Metall ihre Vorbereitungen abgeschlossen und ihre Strukturen etabliert haben. Dann kann es klappen, selbst wenn Tesla nicht will. 

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