17.03.2023 | Eine klassische Fehlzündung hat die Arbeitgeberseite des ostdeutschen Kfz-Handwerks in der ersten Verhandlung der diesjährigen Tarifrunde hingelegt, nachdem bereits deren niedersächsischen Kollegen zwei Tage zuvor auf die Bremse stiegen:
Die erste Verhandlung für die rund 16.000 Beschäftigten in 1.500 Betrieben endete nach wenigen Stunden ohne Ergebnis und Angebot der Arbeitgeberseite. Ende des Monats laufen die Tarifverträge aus und ab dem 1. April sind in den Betrieben Aktionen und Warnstreiks möglich.
Bereits im Februar hat die Tarifkommission der IG Metall Fahrt aufgenommen und ihre Forderung für die diesjährige Tarifrunde beschlossen: 8,5 Prozent mehr Entgelt für 12 Monate. Außerdem soll das Ergebnis eine soziale Komponente enthalten, zum Beispiel in Form einer Inflationsausgleichsprämie. Die Ausbildungsvergütungen sollen ferner überproportional steigen. Zum ersten Mal in der Geschichte des ostdeutschen Kfz-Handwerkes verhandelt die IG Metall nicht mehr einzeln für jedes ostdeutsches Bundesland, sondern zentral mit dem Arbeitgeberverband Mitteldeutsches Kraftfahrzeuggewerbe (MDK).
Im Vorfeld der Tarifrunde hat die IG Metall eine repräsentative Beschäftigten-Umfrage durchgeführt, die erstaunliche Ergebnisse von weit über 1.000 Interviews hervorgebracht hat: 93 Prozent der Befragten bestätigen, dass ihr Betrieb gut ausgelastet ist und 86 Prozent berichten, dass ihre Arbeit in den letzten fünf Jahren deutlich belastender geworden ist. 60 Prozent vermissen im Betrieb einen wertschätzenden Umgang. Jeder zweite fühlt sich nicht fair behandelt. 72 Prozent beklagen, dass ihr Betrieb Fachkräfte verliert. Knapp 65 Prozent der Beschäftigten zeigen eine sehr hohe oder hohe Bereitschaft, den Betrieb oder sogar die Branche zu wechseln, wenn sie ein gutes Angebot bekommen. „All das zeichnet ein Bild von einem Kfz-Handwerk, dass ein spürbares Attraktivitätsproblem hat. Insbesondere die Bereitschaft die Branche bei einem besseren Angebot zu verlassen ist brandgefährlich, bei heute schon hohem Fachkräftemangel. Zudem ist der Kfz-Mechatroniker bei den Jugendlichen längst nicht mehr so hoch im Kurs, wie noch vor ein paar Jahren. War er 2016 noch auf Platz 1 der Berufswünsche, liegt er heute nur noch auf Platz 3 der jungen Menschen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, braucht es gute Arbeitsbedingungen und Zukunftsperspektiven und vor allem ein kräftiges Plus bei den Entgelten und Ausbildungsvergütungen! Wer die Fachkräfte von morgen gewinnen will, muss diese nicht nur selbst ausbilden, sondern im Wettbewerb um die besten Köpfe auch gute Argumente liefern!“, erklärt Markus Wente, Tarifexperte und Mitglied der IG Metall-Verhandlungskommission.
Obwohl die Argumente auf Seiten der IG Metall liegen, weigerten sich die Arbeitgeber zu einem schnellen Ergebnis zu kommen. Damit zwingen sie die Beschäftigten in den Werkstätten und Autohäusern zu Warnstreiks und Aktionen vor dem Tor. Diese treffen die Branche mitten in der Räderzeit, wo die Auftragsbücher besonders voll sind. Dabei zeigt die aktuelle Umsatzrendite und die Auslastung unter der Hebebühne, dass die Kfz-Branche in einer guten wirtschaftlichen Lage ist und genügend Spielraum für Entgeltsteigerungen besteht. „Nicht nur die Gewinne erreichen Rekordhöhen, auch die Werkstattaufträge liegen auf einem konstant hohen Niveau: Es herrscht vielerorts Vollauslastung mit wochenlangen Wartezeiten. Interessanterweise haben die wirtschaftlichen Hindernisse der vergangenen Jahre dem Kfz-Gewerbe in die Hände gespielt. Wo es an neuen Autos mangelt, werden die Alten öfters repariert.“, führt Wente aus: „Diese starke Ausgangslage zeigt, dass das Kfz-Gewerbe die aktuellen Herausforderungen mit Bravour meistert. So bleibt Luft, um auch den Kolleginnen und Kollegen die dringend benötigte Entlastung zukommen zu lassen.“
Man werde nun den Druck in den Betrieben erhöhen und die Beschäftigten in den Autohäusern mobilisieren: „Die Position der Arbeitgeber ist unverständlich und führt bei den Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben zu Widerstand. Mitte April startet die zweite Verhandlungsrunde, in der wir ein verhandlungsfähiges Angebot erwarten!“, so der Gewerkschafter. Stand jetzt ist vor Auslaufen der Friedenspflicht keine weitere Verhandlung terminiert – dies bedeute, dass es ab Anfang April zu Warnstreiks kommen könnte.