28.04.2025 | Ein großes Gespräch mit Thorsten Gröger, IG Metall-Bezirksleiter Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Der gelernte Werkzeugmacher ist seit 2017 in dieser Funktion für rund 260.000 Mitglieder zuständig und verantwortet als Verhandlungsführer sowohl Tarifgebiete in der Metall- und Elektroindustrie und führt ebenso die Haustarifverhandlungen bei der Volkswagen AG.
IG Metall: Herr Gröger, in einer Welt voller Krisen: Was bedeutet der 1. Mai heute?
Gröger: Der 1. Mai ist kein Museumsstück, sondern ein Gradmesser für den Zustand unserer Gesellschaft: Wie steht es um Respekt, um soziale Sicherheit, um gesellschaftlichen Zusammenhalt? Wer glaubt, soziale Stabilität sei ein Selbstläufer, irrt gewaltig. In einer Zeit, in der geopolitische Spannungen wachsen, Digitalisierung und Klimawandel die Arbeitswelt verändern und rückwärtsgewandte extreme politische Positionen an Zulauf gewinnen, braucht es einen 1. Mai, der Haltung zeigt: für Solidarität, für Demokratie, für eine Wirtschaft, die den Menschen dient.
IG Metall: Viele Beschäftigte spüren steigende Unsicherheit. Laufen wir Gefahr, den inneren Zusammenhalt zu verlieren?
Gröger: Wir stehen an einem Scheideweg und es droht, dass dieser verspielt wird. Wenn Menschen trotz harter Arbeit ihre Rechnungen kaum noch bezahlen können, wenn Wohnraum zum Luxus wird und sozialer Aufstieg zur Ausnahme, dann läuft etwas grundsätzlich schief. Eine Gesellschaft, die die Würde der Arbeit vergisst, verliert ihr Fundament. Die politische Antwort darauf darf nicht lauten: Noch mehr Flexibilisierung, noch mehr individuelle Risiken. Wir brauchen endlich eine echte Agenda für gute Arbeit: Tarifbindung, soziale Absicherung, Perspektiven im Wandel. Andernfalls werden wir erleben, wie die Fliehkräfte unsere Demokratie zerreißen.
IG Metall: Der Bundestag hat massive Investitionspakete geschnürt. Reicht das für eine erfolgreiche Transformation?
Gröger: Investitionsprogramme sind wichtig – aber sie sind nur der erste Schritt. Papier ist aber geduldig und vergilbt, wenn es in Schubladen wieder verschwindet. Entscheidend ist, ob Investitionen tatsächlich in Wertschöpfung, Innovation und gute Arbeit münden. Transformation darf nicht heißen: Fördergeld nehmen, Standorte schließen. Transformation muss konkret sein: neue Technologien, neue Produkte, neue Beschäftigungschancen – und zwar am Standort Deutschland. Es reicht nicht, Wasserstofflabore in Hochglanzbroschüren abzubilden. Wir brauchen Werkhallen, in denen real mit Wasserstoff produziert wird.
IG Metall: Manche Stimmen fordern eine Abkehr vom klassischen Industriemodell. Ist das realistisch?
Gröger: Ganz klar: Nein! Weder realistisch noch erstrebenswert. Eine starke Industrie ist keine nostalgische Idee – sie ist das Rückgrat unserer Zukunft. Klimaneutrale Mobilität, neue Energietechnologien, Digitalisierung: All das braucht hochqualifizierte industrielle Fertigung. Dienstleistungsberufe sind unverzichtbar für unsere Gesellschaft. Sie sorgen für Lebensqualität, soziale Sicherheit und Innovationskraft. Aber wer glaubt, Deutschland könne alleine mit Dienstleistungsjobs Wohlstand sichern, verkennt die Realität. Wir brauchen Wertschöpfung, Produktion, industrielle Innovation – sonst verlieren wir nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch gesellschaftlichen Gestaltungsspielraum.
IG Metall: Die deutsche Wirtschaft wächst kaum noch. Was ist jetzt wirtschaftspolitisch geboten?
Gröger: Die konjunkturelle Schwäche, die wir derzeit erleben, ist ernst – aber sie ist mehr als eine vorübergehende Delle. Sie offenbart auch strukturelle Defizite, die seit Jahren verdrängt wurden: eine zu zögerliche Transformation, Investitionsstaus, wachsende Ungleichheiten. Deshalb braucht es jetzt keine Reflexe wie Sparprogramme oder die alte Schallplatte der Wettbewerbsparolen.
Was wir brauchen, sind gezielte Investitionen, kluge Standortpolitik und den festen Willen, Wertschöpfung im Land zu halten und zu erneuern. Wer den Aufbruch verschläft und gleichzeitig sozialen Schutz abbaut, spielt nicht nur mit dem Aufschwung – er gefährdet die Zukunftsfähigkeit unseres gesamten Wirtschaftsmodells.
Wachstum entsteht nicht durch Abbau, sondern durch Innovation – und Innovation braucht sichere Rahmenbedingungen, tarifliche Absicherung und soziale Stabilität. Transformation gelingt nur, wenn die Menschen ihr vertrauen können. Ohne soziale Sicherheit verliert wirtschaftlicher Fortschritt seine Grundlage.
IG Metall: Was kann die Tarifbindung zur Stabilisierung beitragen?
Gröger: Enorm viel. Tarifverträge sichern nicht nur faire Einkommen, sie stabilisieren auch die Nachfrage und schützen vor sozialem Absturz – gerade in Krisenzeiten. Starke Tarifbindung schafft wirtschaftliche Resilienz, weil sie den Beschäftigten Sicherheit gibt und den Betrieben Verlässlichkeit.
Gerade im Wandel sind Tarifverträge der Anker, der Halt gibt. Sie sorgen für Planbarkeit in unsicheren Zeiten und tragen dazu bei, die Transformation sozial abzufedern. Ein Industriestandort ohne Tarifbindung ist wie ein Schiff ohne Anker: bei jedem Sturm in Gefahr zu kentern. Tarifbindung ist kein Hemmnis – sie ist ein strategischer Standortvorteil.
IG Metall: Wie muss Industriepolitik gestaltet sein, damit sie zukunftsfähig bleibt?
Gröger: Industriepolitik muss sich an einem klaren Dreiklang orientieren: Innovation fördern, Investitionen sichern und die Menschen aktiv in den Wandel integrieren. Es reicht nicht, Subventionen zu verteilen oder auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu vertrauen.
Zukunft entsteht nur, wenn industrielle Erneuerung, soziale Sicherheit und demokratische Teilhabe zusammengedacht werden. Ohne Innovation bleibt der Wandel stehen. Ohne Investitionen verlieren wir die industrielle Substanz. Und ohne Integration der Beschäftigten verliert jede Veränderung ihre gesellschaftliche Akzeptanz.
Wer Industriepolitik auf Kostensenkung reduziert und Standorte gegeneinander ausspielt, mag kurzfristig Bilanzgewinne erzielen – langfristig aber verliert er die Grundlage für Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt. Industriepolitik muss heute nicht schneller, sondern klüger werden: strategischer, sozialer und nachhaltiger.
IG Metall: Deutschland setzt im geopolitischen Umfeld mehr und mehr auf Verteidigungsindustrie. Ist das der richtige Schwerpunkt?
Gröger: Sicherheit ist zweifellos ein legitimes Anliegen – aber Rüstung darf kein Ersatz für industrielle Gestaltungskraft sein. Wir brauchen dringend eine Klärung, was Sicherheit in einer sich drastisch verändernden Weltlage bedeutet. Ein „Whatever it takes“, wie Friedrich Merz es formuliert hat, blendet den notwendigen, demokratischen Diskurs aus. Wir brauchen Sicherheitspolitik, keine Aufrüstungspolitik. Und dafür braucht es zweifelsohne Diplomatie und internationale Zusammenarbeit. Es wäre fatal, wenn Deutschland Investitionen in Waffenproduktion zum Ersatz für den Aufbau einer zukunftsfähigen Industrie machen würde. Unser Fokus muss auf klimaneutraler Mobilität, Digitalisierung, neuen Energietechnologien und nachhaltiger Produktion liegen. Sicherheit entsteht durch wirtschaftliche Stärke und soziale Stabilität – nicht durch einseitige Militarisierung der Industrie.
IG Metall: Gerade die Stahlindustrie steht massiv unter Druck. Wie bewerten Sie die Lage?
Gröger: Stahl ist nicht nur ein Werkstoff – er ist ein Fundament industrieller Souveränität. Ohne Stahl gibt es keine Autos, keine Maschinen, keine Energiewende-Infrastruktur. Die Zukunft der Stahlindustrie entscheidet mit darüber, ob Deutschland Industrieland bleibt oder deindustrialisiert.
Gerade für Niedersachsen, mit starken Standorten wie Salzgitter oder Georgsmarienhütte, ist das eine strategische Frage erster Ordnung. Grüner Stahl – klimaneutral hergestellt mit Wasserstoff – kann zum globalen Exportschlager werden und uns einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil sichern. Aber das passiert nicht von allein: Es braucht jetzt massive Investitionen in Technologie, Infrastruktur und Qualifikation. Wer zögert, verliert.
Wer die Stahlindustrie aufgäbe, verlöre mehr als Produktionskapazitäten – man würde industrielle Souveränität verlieren und die Fähigkeit, zentrale Wertschöpfungsketten zu steuern und selbstbestimmt Innovationen zu entwickeln. Deshalb sagen wir: Der Erhalt und die Erneuerung der Stahlindustrie sind kein Anachronismus. Sie sind eine Investition in die wirtschaftliche und politische Handlungsfähigkeit unseres Landes. Dafür braucht es einen entsprechenden Förderpfad und verlässliche, bezahlbare Strompreise.
IG Metall: Arbeitgeberverbände fordern eine Lockerung des Arbeitszeitgesetzes und Steuervergünstigungen für Überstunden. Ihre Antwort?
Gröger: Unsere Antwort ist eindeutig: Wer heute fordert, das Arbeitszeitgesetz aufzuweichen, verkennt die Realität in den Betrieben. Millionen Beschäftigte leisten längst Überstunden – oft unvergütet, oft stillschweigend erwartet. Sie halten Betriebe am Laufen, treiben Innovationen voran – und das unter wachsendem Druck.
Die Antwort darauf darf nicht sein, Schutzrechte zu schleifen oder Erholungszeiten zu kürzen. Gerade in Zeiten massiver Umbrüche brauchen wir klare Grenzen: verlässliche Arbeitszeiten, planbare Freizeit, Schutz der Gesundheit. Sie sind keine Bremsklötze – sie sind die Grundlage für Produktivität, Innovation und soziale Stabilität.
Wer glaubt, Erschöpfung sei ein Geschäftsmodell, der irrt. Produktivität entsteht nicht durch Auspressen, sondern durch kluge Organisation, faire Bedingungen und Vertrauen in die Beschäftigten. Gesunde Arbeitnehmer sind keine Belastung – sie sind das Rückgrat einer zukunftsfähigen Wirtschaft.
IG Metall: Was sagen Sie zu Forderungen, Feiertage zu streichen oder Karenztage bei Krankheit einzuführen?
Gröger: Es ist ein Frontalangriff auf soziale Errungenschaften, wenn Arbeitgebervertreter nicht nur das Arbeitszeitgesetz infrage stellen, sondern auch Feiertage streichen oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kürzen wollen.
Feiertage sind keine überflüssigen Luxusgüter – sie sind unverzichtbare Atempausen für Erholung, Familie und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer sie opfern will, reduziert den Menschen auf seine Arbeitskraft und ignoriert, dass nur ausgeruhte, motivierte Beschäftigte leistungsfähig sind.
Besonders zynisch ist die Forderung nach Karenztagen bei Krankheit. Gerade in Zeiten wachsender Belastung wäre es fatal, kranken Menschen auch noch finanzielle Nachteile aufzubürden. Krankheit ist kein individuelles Versagen. Sie verlangt Solidarität und Schutz – nicht Misstrauen und Bestrafung.
Unsere Haltung bleibt unmissverständlich: Hände weg vom Arbeitszeitgesetz, Hände weg von Feiertagen, Hände weg von der Lohnfortzahlung! Die Wirtschaft wird nicht stabiler, wenn wir die Menschen schwächen. Sie wird stärker, wenn wir in ihre Gesundheit, ihre Arbeitsbedingungen und ihre Perspektiven investieren.
IG Metall: Das Streikrecht gerät ebenso zunehmend ins Visier. Ist die Tarifautonomie in Gefahr?
Gröger: Das Streikrecht ist kein Betriebsunfall der Demokratie – es ist ihr Freiheitsrecht. Ohne das Recht, für faire Arbeitsbedingungen zu streiten, wird Tarifautonomie zur Farce. Jede Debatte über Einschränkungen des Streikrechts ist eine Debatte über die Entkernung demokratischer Grundrechte. Wir werden keinen Millimeter weichen, wenn es darum geht, dieses Recht zu verteidigen. Wer das Streikrecht schleift, legt die Axt an die Wurzeln der sozialen Demokratie.
IG Metall: Die Diskussion über Rentenreformen läuft. Was ist Ihre Haltung zur Zukunft der Alterssicherung?
Gröger: Die Rente ist kein Almosen – sie ist ein Lohn für ein Leben voller Arbeit. Wer das Rentenalter immer weiter hinauszögern oder die Leistungen kürzen will, ignoriert die Realität vieler Menschen, die körperlich oder psychisch an ihrer Belastungsgrenze arbeiten. Wir brauchen eine Rente, die Teilhabe garantiert – nicht Altersarmut kaschiert. Dazu gehört eine Stärkung der gesetzlichen Rente, eine Ausweitung der Beitragszahlerbasis und eine klare Prioritätensetzung: soziale Sicherheit vor Steuergeschenken.
IG Metall: Wie wichtig ist eine kräftige Erhöhung des Mindestlohns für die gesellschaftliche Stabilität?
Gröger: Ein armutsfester Mindestlohn ist unverzichtbar – aus sozialer wie aus ökonomischer Sicht. Wer Vollzeit arbeitet, muss von seiner Arbeit leben können, ohne auf ergänzende Leistungen angewiesen zu sein. Ein starker Mindestlohn schützt vor Ausbeutung und stabilisiert die Binnennachfrage – gerade in konjunkturell herausfordernden Zeiten.
Aber der Mindestlohn ist und bleibt die unterste Haltelinie. Unser Ziel als IG Metall ist ambitionierter: Wir wollen eine Tarifwende. Gute Arbeit definiert sich nicht über gesetzliche Mindeststandards, sondern über tariflich ausgehandelte Löhne, Arbeitszeiten und Rechte. Tarifverträge bieten deutlich bessere Arbeitsbedingungen und Perspektiven – sie machen Arbeit planbar, sicher und entwicklungsfähig.
Mindestlohn und Tarifbindung sind deshalb zwei Seiten derselben Medaille: Der Mindestlohn verhindert Armut, Tarifverträge schaffen Teilhabe und Zukunft. Wer den sozialen Zusammenhalt wirklich stärken will, muss die Tarifbindung ausbauen – nicht nur die Mindestgrenzen absichern.
Wir brauchen mehr Tarifverträge, mehr betriebliche Mitbestimmung, mehr faire Arbeit – nicht mehr prekäre Übergangsarrangements am unteren Rand des Arbeitsmarkts.
IG Metall: Wie sieht ein fairer Wandel der Autoindustrie aus Ihrer Sicht aus?
Gröger: Ein fairer Wandel der Autoindustrie heißt nicht nur, Antriebstechnologien auszutauschen. Es geht darum, Wertschöpfungsketten zu sichern, industrielle Kompetenz zu bewahren und Beschäftigten echte Perspektiven zu eröffnen. Elektromobilität, Digitalisierung und neue Mobilitätskonzepte verändern die Branche tiefgreifend – aber Transformation darf nicht bedeuten: Elektromobilität ja – Arbeitsplätze nein.
Ein Wandel, der ausschließlich auf technologische Erneuerung setzt und dabei die Beschäftigten außen vor lässt, baut auf Sand. Ein fairer Wandel investiert konsequent in die Qualifikation der Menschen, stärkt tarifliche Absicherung und Mitbestimmung und bindet die Wertschöpfung in den Regionen. Es geht nicht nur um neue Produkte – es geht um neue Perspektiven.
Die Automobilindustrie hat die Chance, zu einem Vorbild für nachhaltigen industriellen Wandel zu werden: innovativ, ökologisch, sozial verantwortlich. Dafür braucht es eine klare Standortstrategie, Investitionen in Forschung, Entwicklung und Ausbildung sowie verlässliche Übergänge – nicht nur für hochqualifizierte Ingenieure, sondern auch für Facharbeiter, Produktionsmitarbeiterinnen und Dienstleistungsbereiche entlang der gesamten Lieferkette.
Wer Wandel nur technologisch denkt und die Menschen nicht mitnimmt, gefährdet am Ende nicht nur Beschäftigung, sondern auch Akzeptanz und Innovationskraft. Zukunft entsteht nicht durch technologische Umbrüche allein – sie entsteht durch die bewusste Verbindung von Innovation und sozialer Verantwortung.
IG Metall: Werfen wir einen konkreten Blick nach Niedersachsen. Stephan Weil zieht sich zurück, Olaf Lies soll sein Nachfolger werden. Was erwarten Sie von ihm?
Gröger: Olaf Lies ist ein erfahrener Wirtschaftspolitiker. Er weiß: Industriestandorte sichern sich nicht durch Sonntagsreden, sondern durch harte Arbeit an den richtigen Rahmenbedingungen. Unsere Erwartung ist klar: Niedersachsen muss Industrieland bleiben – innovativ, nachhaltig, sozial abgesichert. Transformation ohne Mitbestimmung wird nicht funktionieren. Wer die Beschäftigten nicht beteiligt, wird Widerstand ernten. Wer sie einbindet, wird Wandel erfolgreich gestalten. Olaf Lies muss zeigen: Transformation gewinnt man nicht gegen, sondern nur mit den Menschen.
IG Metall: Rechtsextreme Kräfte gewinnen an Einfluss. Wie kann dem begegnet werden?
Gröger: Die beste Versicherung gegen politische Radikalisierung ist gute Arbeit. Menschen brauchen Sicherheit, Perspektive und Anerkennung – nicht Abstieg und Abstiegsangst. Wo Tarifverträge, Mitbestimmung und faire Löhne herrschen, haben Extremisten keinen Nährboden. Aber wir brauchen auch klare Kante: in den Betrieben, in der Gesellschaft, in der Politik. Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Demokratie verteidigt sich nicht von allein – sie lebt vom Mut ihrer Bürgerinnen und Bürger.
IG Metall: Angesichts wachsender rechtsextremer Tendenzen: Wie wichtig ist gelebte Demokratie am Arbeitsplatz?
Gröger: Entscheidend. Demokratie wird nicht nur an der Wahlurne verteidigt, sondern jeden Tag im Betrieb. Beteiligung, Mitbestimmung, Tarifverhandlungen – all das sind Bausteine gelebter Demokratie. Wo Menschen erleben, dass sie ernst genommen werden, dass sie ihre Arbeitswelt mitgestalten können, dort wächst Vertrauen in demokratische Prozesse. Wer Demokratie im Betrieb schleift, öffnet Extremisten Tür und Tor. Deshalb sagen wir klar: Mitbestimmung ist kein Nice-to-have – sie ist Überlebensbedingung für eine stabile Gesellschaft.
IG Metall: Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändern die Arbeitswelt massiv. Wächst dadurch Wohlstand – oder droht neue Unsicherheit?
Gröger: Digitalisierung ist ein enormes Versprechen – aber sie ist kein Naturgesetz. Entscheidend ist, wie wir sie gestalten. Wenn KI dazu dient, Arbeit zu erleichtern, Prozesse klüger zu organisieren und Menschen von Routine zu entlasten, dann ist sie ein Fortschritt. Wenn sie aber dazu genutzt wird, Beschäftigung abzubauen, Löhne zu drücken oder Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, wird sie zur Bedrohung. Digitalisierung muss die Arbeit der Menschen verbessern – nicht entwerten. Deshalb brauchen wir tarifliche Regeln für KI, klare Mitbestimmungsrechte und eine aktive Qualifizierungsoffensive.
IG Metall: Was fordern Sie konkret für die Transformation durch KI und neue Technologien?
Gröger: Wir fordern drei Dinge: Erstens echte Beteiligung – Beschäftigte und Betriebsräte müssen bei der Einführung neuer Technologien ein Mitspracherecht haben. Zweitens verbindliche Regeln – damit KI fair eingesetzt wird und Transparenz herrscht. Und drittens massive Investitionen in Weiterbildung – niemand darf durch neue Technologien abgehängt werden. Technologischer Fortschritt braucht soziale Innovation – sonst wird er zum Spaltpilz.
IG Metall: Ihr abschließender Appell an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?
Gröger: Transformation gelingt nur, wenn sie Sicherheit schafft, Perspektiven eröffnet und Teilhabe garantiert. Wer Wandel fordert, darf soziale Fragen nicht zur Nebensache erklären.
Politik muss klare Leitplanken setzen, Wirtschaft muss Verantwortung für Standorte und Beschäftigte übernehmen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht nicht von selbst – er muss gewollt, gestaltet und verteidigt werden.
Wer die Menschen abhängt, riskiert den Erfolg der Transformation. Wer sie mitnimmt, sichert die Zukunft – wirtschaftlich, sozial und demokratisch.