20.02.2025 | Beim Reifenwechsel gilt die Faustregel: Von O bis O. Im Oktober kommen die Winterreifen drauf, um Ostern wird auf Sommerreifen zurückgerüstet. Dies könnte sich im Jahr 2025 in den tarifgebundenen Werkstätten des Kfz-Handwerks verzögern, denn unter Umständen sind keine Beschäftigten im Service oder unter der Hebebühne. Ein gleiches Bild zeigt sich bei den tarifgebundenen Autohäusern, beispielsweise auf der Verkaufsfläche. Aber warum ist das so? Statt O bis O kämpfen die Beschäftigten für das A und O in der Arbeitswelt: Faire Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. Und wenn nötig, gibt es auch Warnstreiks. Im niedersächsischen Kfz-Handwerk findet die erste Tarifverhandlung am 26. März statt. Wenige Tage später ab 1. April - also kurz vor Osterferienbeginn - wären Warnstreiks möglich.
Der Vorstand der IG Metall hat diese Woche die Forderungen der bundesweiten Tarifkommissionen offiziell beschlossen. Die Botschaft ist klar: 6,5 Prozent mehr Geld, 170 Euro mehr für Auszubildende und wirksame Entlastung für besonders belastete Beschäftigte.
Andre Beckwermert, Betriebsratsvorsitzender der Beresa GmbH und Co. KG in Osnabrück: „Volle Auftragsbücher und Überstundenkonten auf der einen Seite, Rekordgewinne und stabile Zukunftsaussichten auf der anderen Seite – das beschreibt die aktuelle Situation im Kfz-Handwerk ganz gut. Die 6,5 Prozent sind daher gut begründet und gerechtfertigt, um die Beschäftigten am Erfolg der Unternehmen zu beteiligen.
Von der 20 Jahre alten G-Klasse bis hin zum neuesten vollelektrischen Stromer - bei den Metallerinnen und Metallern bei Beresa kommen alle Fahrzeuge auf die Hebebühne und werden auf Herz und Nieren geprüft. Langeweile kommt nicht auf. Die Terminbücher sind genauso voll, wie die Überstundenkonten. Das liegt auch am immer deutlicher zutage tretenden Fachkräftemangel. Dieser entwickelt sich vielerorts schon heute zu einer Wachstumsbremse: „Unser Anspruch muss sein, die besten Arbeitsbedingungen der Branche zu bieten. Dann klappt es auch mit den Fachkräften“, so Beckwermert abschließend.
Die Fakten sprechen eine klare Sprache: 75 Prozent der Betriebe erwarten, dass der wirtschaftliche Aufschwung im ersten Quartal 2025 anhält, 7 Prozent rechnen sogar mit einer weiteren Steigerung. Während die Gewinne der Unternehmen auf der linken Spur durchstarten, hängen die Entgelte der Beschäftigten im Stau fest. Die Marge in den Werkstätten bleibt hoch, die Wartezeiten für Kunden steigen – doch bei den Beschäftigten kommt davon wenig an.
Die wirtschaftlichen Realitäten sprechen für eine deutliche Einkommenserhöhung. Die Werkstätten sind voll ausgelastet, die Renditen laufen auf Hochtouren, die Arbeitgeber fahren satte Gewinne ein – höchste Zeit, dass auch die Beschäftigten auf die Überholspur kommen. Besonders in Niedersachsen zeigen sich klare Zahlen: "Die Nutzfahrzeugabsätze liegen hier um 20 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Hinzu kommt ein Elektro-Boom: Die Zulassungen bei vollelektrischen Stromern legten zum Vorjahr um 110 Prozent zu. Zusammen mit einer konstant hohen Werkstattauslastung gibt es keinen Grund für Zurückhaltung bei den Entgelten", betont Markus Wente, Verhandlungsführer der IG Metall Niedersachsen.
Die Reallöhne hinken jedoch den Preissteigerungen der letzten Jahre hinterher. "Unsere Kolleginnen und Kollegen spüren jeden Tag, dass ihr Geld weniger wert ist, und es gibt einen deutlichen Nachholbedarf bei den Realeinkommen. Die Entgeltsteigerungen der letzten Jahre konnten mit der Inflation nicht Schritt halten. Ganz im Gegenteil der Einnahmen auf Arbeitgeberseite!", so Wente weiter. Die Zahlen belegen den Nachholbedarf: Während die Stundenverrechnungssätze in den Autohäusern seit 2017 um 40 Prozent gestiegen sind, sind die Entgelte lediglich um die Hälfte dieses Werts gestiegen. Das bedeutet, dass die Autohäuser die gestiegenen Kosten an die Kunden haben weitergeben können. Die Einkommen der Beschäftigten müssen jetzt spürbar nachziehen.
Henning Piehl sorgt sich indes um die Belastung seiner Kolleginnen und Kollegen. Er ist Betriebsratsvorsitzender bei Emil Frey Hentschel Hannover und als Konzernbetriebsrat (Teilkonzern) der Emil Frey Gruppe auch für die Rechte weiterer etwa 2.000 Beschäftigte in ganz Deutschland verantwortlich. „Die Zeitvorgaben der Hersteller werden immer knapper, es gibt immer mehr Arbeit in weniger Zeit und das treibt den Stresspegel nach oben. Die Krankenstände sind hoch und insbesondere die älteren Kolleginnen und Kollegen schaffen es so nicht gesund bis zur Rente. Mal abgesehen davon, dass die junge Generation genau das Gegenteil von starren Arbeitszeiten und viel Überstunden sucht. Sie möchte die Wahl haben, wie sie ihr Arbeitsleben gestaltet und dieses selbst in die Hand nehmen. Die Älteren brauchen dagegen dringend Entlastungsmöglichkeiten in stressigen Zeiten, um möglichst lange und gesund in der Arbeitswelt zu überstehen. Wer das bietet, bekommt auch die Fachkräfte für sich gewonnen“, so Piehl zur aktuellen Situation und der Forderung einer Entlastungskomponente.
Neben den flexiblen Wahlmöglichkeiten, die zur Entlastung der Beschäftigten dringend notwendig sind, tritt die IG Metall auch für 170 Euro mehr für Auszubildende an. Verhandlungsführer Wente: „Ich habe meine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker noch mit 16 Jahren begonnen. Das ist jetzt allerdings über zwei Jahrzehnte her und die Auszubildenden sind heute im Schnitt über 21 Jahre alt. Da wohnt man in der Regel nicht mehr zu Hause bei den Eltern, sondern will ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben führen. Das geht jedoch nur, wenn ich mir die Wohn- und Heizkosten leisten kann. Wir sind bei den Ausbildungsvergütungen lange nicht mehr die Spitze im Handwerk und die 170 Euro daher mehr als gerechtfertigt.“